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Er ermordete einen Türken und verließ den Gerichtssaal als freier Mann

Mord kann gerecht sein. Das schien die Lehre eines Attentats zu sein, das ab dem 15. März 1921 die Aufmerksamkeit der Berliner fesselte. Gegen Mittag dieses Dienstags nämlich trat vor dem Haus Hardenbergstraße 17 im eleganten Stadtteil Charlottenburg der Reichshauptstadt ein junger Mann von hinten an einen gut gekleideten Herrn in den besten Jahren heran – und schoss ihm in den Kopf.

 
 

Der Täter, ein knapp 24-jähriger Student namens Soghomon Tehlirian, versuchte noch zu flüchten, wurde aber von umstehenden Passanten mit Gewalt daran gehindert. Ein Stockhieb hinterließ eine klaffende, 20 Zentimeter lange Wunde am Oberkörper. So verletzt wurde er der Polizei übergeben. Verärgert über seine Festnahme rief er noch, auf die Leiche weisend: „Er Türke, ich Armenier – kein Deutscher! Was haben Deutsche damit zu tun?“

Mehmed Talaat Pasha (Ottoman Turkish: ???? ???? ????; Turkish: Mehmed Talât Pasha; 1874 – 15 March 1921), commonly known as Talaat Pasha, was one of the triumvirate known as the Three Pashas that de facto ruled the Ottoman Empire during the First World War. His career in Ottoman politics began by becoming Deputy for Edirne in 1908, then Minister of the Interior and Minister of Finance, and finally Grand Vizier (equivalent to Prime Minister) in 1917. He fled the empire with Enver Pasha and Djemal Pasha (the other members of the Three Pashas) in 1918, and was assassinated in Berlin in 1921 by Soghomon Tehlirian, a survivor of the Armenian Genocide. Talaat Pasha, as Interior Minister, ordered on 24 April 1915 the arrest and deportation of Armenian intellectuals in Constantinople, and requested the Tehcir Law (Temporary Deportation Law) of 30 May 1915 that initiated the Armenian Genocide. He is widely considered the main perpetrator of the ethnic cleansing.
Mehmed Talaat Pascha (1874–1921) als osmanischer Politiker vor seiner Flucht nach Deutschland 1918
Quelle: picture alliance / CPA Media Co.

Schnell kursierten Gerüchte: Das Opfer habe gar nicht Sali Ali Bey geheißen, sondern in Wirklichkeit Talaat Pascha. Es sei zwar richtig, dass es sich um einen türkischen Staatsbürger gehandelt habe, aber zugleich um einen Flüchtling, denn Talaat Pascha sei in seiner Heimat von der pro-britischen Regierung zum Tode verurteilt worden.

 

Mehr Klarheit brachten rasch Recherchen der Hauptstadtpresse und Anfang Juni 1921 der Prozess vor dem Berliner Schwurgericht. Der Fall schien einfach – Mord auf offener Straße, ein geständiger Täter, zahlreiche Zeugen: Was anderes als mindestens eine langjährige Zuchthausstrafe sollte schon das Urteil sein?

Doch der Angeklagte kämpfte. Drei renommierte Verteidiger ließen eine ganze Phalanx medizinischer Sachverständiger antreten, die alle die Unzurechnungsfähigkeit ihres Mandanten bestätigten. Es gab auch passende Zeugen: Ein Diplomat der 1918 bis 1922 offiziell bestehenden Republik Armenienbeschwor, Tehlirian habe in seiner Anwesenheit einen epileptischen Anfall erlitten. Ein anderer Landsmann schilderte ihn als nervenkrank. Ein dritter, der beim Polizeiverhör im März gedolmetscht hatte, sagte aus, der Täter sei nach dem Anschlag nicht „in normaler geistiger Verfassung“ gewesen.

Talaat Paschas Aufbahrung / Foto 1921 Talaat Pascha, Mehemed tuerk. Grosswesir (als Innenminister ver- antwortlich fuer den Massenmord an den Armeniern); 1872-1921. - Aufbahrung Talaat Paschas; links sitzend die Witwe (nach seiner Ermordung durch einen armenischen Studenten am 15.Maerz 1921 in Charlottenburg). - Foto.
Die Aufbahrung Talaat Paschas 1921
Quelle: picture-alliance / akg-images

Ihren größten Trumpf aber spielten die Verteidiger erst danach aus: Sie ließen mehrere Zeugen und den Angeklagten die Gräuel schildern, die türkische Militärs und Milizen seit Frühjahr 1915 an Armeniern begangen hatten. Tatsächlich war der Ermordete als führender Jungtürke, Innenminister und Großwesir mitverantwortlich für den Mord an weit über einer Million Menschen, den ersten großen Völkermord des 20. Jahrhunderts. Musste das Schwurgericht also gar nicht über Mord verhandeln, sondern über einen Akt der Selbstjustiz an einem Massenmörder, begangen im Zustand geistiger Umnachtung?

 

75 Minuten Beratungszeit benötigten die Geschworenen, dann stand das Urteil fest. Ihr Obmann verkündete: „Auf Ehre und Gewissen bezeuge ich als den Spruch der Geschworenen: Ist der Angeklagte Soghomon Tehlirian schuldig, am 15. März 1921 vorsätzlich einen Menschen, den Talaat Pascha, getötet zu haben? Nein.“ Der Angeklagte durfte das Gericht als freier Mann verlassen und wanderte wenig später nach Belgrad aus, wo es eine große armenische Exilgemeinde gab. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es weiter, diesmal in die USA, wo er 1960 im Alter von 63 Jahren starb.

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