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Sorge vor dritter Welle wächst - Steinmeier beklagt Ungeduld

Forderungen nach Lockdown-Lockerungen stehen Spekulationen über schärfere Maßnahmen gegenüber. Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, sprach im Sender WDR5 von einem Wettrennen zwischen Impfungen und Virusvarianten.

Im besonders stark betroffenen Thüringen stieg der Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern und sieben Tagen binnen 24 Stunden von 111,6 auf 119,5. In Baden-Württemberg warnte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) vor Wirtschaftsvertretern, ein weit härterer Lockdown als derzeit könnte nötig werden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach in mahnenden Worten von wachsender Ungeduld. In den meisten Bundesländern kehren Grundschüler und Kita-Kinder in der kommenden Woche nach rund zweimonatiger Pause in die Einrichtungen zurück. Am 3. März wollen Bund und Länder über die Lage beraten. Ab dem 7. März sollen Geschäfte dort wieder öffnen können, wo es regional drei Tage lang nicht über 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern und sieben Tagen gibt. Seit vergangenen Sonntag schwankte diese 7-Tage-Inzidenz bundesweit aber leicht über 57. Davor war sie über Tage hinweg kontinuierlich gesunken. Die Stagnation ist aus Expertensicht auf neue Virusvarianten wie der aus Großbritannien zurückzuführen. RKI-Chef Wieler sagte, die Sieben-Tage-Inzidenz stagniere derzeit leicht. "Ich glaube, wir können innerhalb der nächsten Woche sagen, ob es weiter nach unten geht, oder ob wir durch die Varianten wieder einen leichten Anstieg haben werden." "Wenn sich der Trend bestätigt, dann brauchen wir stärkere Restriktionen", sagte der Molekularbiologe und Regierungsberater Rolf Apweiler der Deutschen Presse-Agentur. Nach RKI-Angaben ist der Anteil der ansteckenderen britischen Variante binnen zwei Wochen von knapp 6 auf mehr als 22 Prozent gestiegen. Wissenschaftler bezweifelten bereits, dass die Inzidenz absehbar unter 35 sinkt. Wieder steigende Sieben-Tage-Inzidenzen gibt es etwa in Bremen (65,8), Nordrhein-Westfalen (57,1) und Sachsen-Anhalt (83,8) - aber nirgends so stark wie im ländlich geprägten Thüringen. In Flensburg, wo wohl die britische Variante grassiert, werden Kontakte außerhalb des eigenen Haushalts und nächtliche Ausgänge von Samstag an verboten. Gesundheitsminister Heiner Garg sagte, man wolle der Gefahr einer dritten Welle "entschieden entgegentreten". SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach nannte Flensburg als Beispiel, was ganz Deutschland bei weiterer Verbreitung der britischen Mutation passieren könnte. "Verhindern kann das nur strikter Lockdown, bis wir klar unter Zielinzidenz von 35 liegen", forderte er auf Twitter. Dem stehen lauter werdende Öffnungsrufe entgegen. Bundespräsident Steinmeier sagte vor Vertretern des Gesundheitswesens in Sachsen: "Die Ungeduld wächst im Lande, das ist spürbar." Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann sagte: "Ich hör immer nur öffnen. Ich möchte mal einen erleben, der mal sagt, jetzt machen Sie mal ein bisschen was schärfer. Das hör ich nie!" Eine dritte Welle, die noch schlimmer wäre als die zweite, könne nicht im Interesse der Wirtschaft sein. "Dann machen wir einen richtigen Lockdown - den gab es bisher ja gar nicht." Der Mittelstand dringt auf einen verbindlichen "Exit-Fahrplan". In einem Schreiben des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) an Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) heißt es: "Deutschland muss raus aus dem Lockdown." Auch in Kommunen mit geringeren Fallzahlen regt sich Widerstand. Etwa der Kemptener Oberbürgermeister Thomas Kiechle (CSU) sagte der dpa, Kempten habe seit Tagen eine Inzidenz von etwa 20. Bereits CDU-Chef Armin Laschet hatte sich gegen einen strickt an Inzidenzwerten orientierten Lockdown-Kurs gewandt. Steinmeier verwies auf Fortschritte beim Impfen: "Wir können froh darüber sein, dass die Impfungen - aus Sicht vieler viel zu langsam - aber jetzt doch vorankommen." Der Berliner Virologe Christian Drosten hatte allerdings zu bedenken gegeben, dass die ersten Erfolge der Impfkampagne wohl wenig Wirkung auf die Virusverbreitung habe. Grund: Vorrangig geimpft werden die Hochbetagten - doch die Jüngeren verbreiteten das Virus am Stärksten. Nach Zweifeln am Impfstoff des Herstellers Astrazeneca riefen Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung und andere Ärzteverbände die Pflegekräfte eindringlich zur Impfung auf - auch mit diesem Präparat. Inzwischen wurden laut RKI knapp 107.000 Astrazeneca-Dosen in Deutschland verimpft. Am Vortag waren es knapp 90.000, geliefert sind rund 740.000. Mit wachsenden Impfstoff-Lieferungen insgesamt sollen nach Angaben von Spahn im zweiten Quartal auch die normalen Arztpraxen Corona-Impfungen vornehmen. Genaue Planungen dazu laufen. Nach Informationen des "Business Insider" könnten Praxen laut ersten Eckpunkten bis zu vier Wochen im Voraus bestellen - im Schnitt wöchentlich 100 Dosen. Bekannt ist, dass etwa 50.000 in Frage kommende Praxen mehr als fünf Millionen Impfungen pro Woche vornehmen können sollen. Derweil hat der Pharmakonzern Astrazeneca keine Kenntnis über schwere Nebenwirkungen seines Impfstoffs. "Derzeit fallen die beschriebenen Reaktionen so aus, wie wir sie aufgrund der Informationen aus unseren klinischen Tests erwartet hatten", teilte ein Sprecher in Cambridge mit. Dazu zählten vorübergehende Schmerzen und Druckempfindlichkeit an der Injektionsstelle, leichte bis mittelschwere Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schüttelfrost, Fieber, Unwohlsein und Muskelschmerzen. Nebenwirkungen träten meistens am Tag nach der Impfung auf und seltener nach der zweiten Dosis.

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